10 JAHRE GENCEO

Herzlichen Glückwunsch, GenCEO

ZEHN JAHRE FÜR MEHR WEIBLICHE VERNUNFT

„Eine Frage der Vernunft“ – unter diesem Titel erschien 2010 unser erster Jahresbericht, den das Magazin Brand Eins gemeinsam mit und für uns entwickelt und meisterlich getextet hatte. Wir wollten mit diesem Titel ein wenig provozieren, aber vor allem auch darauf hinweisen, dass Unternehmen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollten, an Frauen an der Spitze nicht vorbeikommen würden. Es war ein Appell, ein Appell, der sich an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen richtete. Heute, nach zehn Jahren GenCEO-Bilanz mit exzellenten Führungstalenten, muss ich mich fragen lassen, ob diese Botschaft angekommen ist, ob Frauen selbstverständlicher, unsere Wirtschaft weiblicher geworden ist. Beherzt kann man diese Frage (ja, auch der Vernunft) mit einem klaren „Jein“ beantworten.

Unser zehnter Jahrgang lässt vermuten: Frauen sind in den Top-Etagen angekommen. Neun weitere, davon acht  mit Vorstandsmandat, gehören ab sofort zu Generation CEO und machen damit unserem Namen, ebenso übrigens wie die anderen 169 Ladies, alle Ehre. Denn Generation CEO IST die Generation CEO. 178 Mal Karriere, 178 Mal Top-Leistung in Unternehmen, 178 Mal geballte Frauenpower auf den höchsten Ebenen – 178 Argumente also dafür, dass unsere Rechnung aufgegangen ist: Es gibt heute deutlich mehr Weiblichkeit in den wirtschaftlichen Machtzentren; eine Tatsache, auf die wir, und ich ganz besonders, stolz sein dürfen. Allerdings – und das ist der Wehrmutstropfen, den ich uns nicht ersparen kann – immer noch viel zu wenig. Von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis sind wir auch heute noch, im Jahr 2016, weit entfernt.

Denn: Trotz aller Diskussionen, trotz der vermaledeiten Quote, trotz immer mehr top-ausgebildeter Frauen – die Vorstandsetagen deutscher Dax-30-Konzerne sind nach wie vor eher männlich denn weiblich dominiert. Derzeit stehen in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen 40 Frauen 641 Männern gegenüber, hat die Unternehmensberatung EY Anfang 2016 errechnet. Der Frauenanteil liegt damit bei 5,9 Prozent. Betrachtet man den Rest der Wirtschaft und hier den weiblichen Führungsanteil, so ist auch dieses Bild eher ein trauriges: Nur knapp jede dritte Führungskraft (29 Prozent) war 2015 weiblich; eine Steigerung von satten 0,7 Prozentpunkten seit 2012. Das jedenfalls zeigt die Auswertung des Statistischen Bundesamtes, das seit 2011 regelmäßig fragt, wie sich der weibliche Einfluss verändert hat. Auch in den USA ist das weibliche Machtbild ein eher trübes, auch wenn sich derzeit gerade eine Frau um die Spitze des Landes bewirbt. Hier, so stellt McKinsey in der aktuellen Studie „Women at workplace“ fest, ist das Geschlechterverhältnis beim Berufseintritt zwar noch relativ ausgewogen, dreht sich aber dramatisch, je höher es in der Hierarchie geht. Nur noch etwa 19 Prozent des C-Levels sind weiblich besetzt. Ein ähnlich trauriges Bild also wie bei uns in Deutschland.

Deutlich vernünftiger gestaltet sich die weibliche Welt bei den Aufsichtsräten dieser Republik. Der Frauenanteil der Top-200-Unternehmen liegt bei etwa zehn Prozent. Auch wenn dieser Anteil eher stagniert, hier bewegt sich etwas. Und: Ein großer Teil der weiblichen Elite des Landes gehört übrigens zu GenCEO – eine Tatsache, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte. Mit der jüngst eingeführten AR-Quote soll sich auch wieder etwas bewegen – meint die Politik, die die Zwangsverpflichtung jetzt auch auf dieser Ebene verordnet hat. Sie alle wissen, wie ich zur Quote stehe … Ich bin immer noch – heute noch mehr als zu Beginn der Quotendiskussion – überzeugt, dass sich mehr Weiblichkeit in Vorstands- und Aufsichtsratsgremien vor allem durch Talent, Ausbildung und Kompetenz durchsetzen lässt. Denn eine Quote, und hier zitiere ich mich gern selbst, kann bestenfalls die Ultima Ratio sein. Sie wird weder der Arbeitswelt noch der Lebenswirklichkeit und schon gar nicht den qualifizierten Frauen gerecht.

Nach wie vor ist sie also aktuell, die Frauenfrage, und nach wie vor ist unser Netzwerk aktuell. Aktueller denn je, möchte ich meinen. Denn auch, wenn sich das weibliche Rad schneller zu drehen beginnt, der Gang an die Spitze ist nach wie vor kein bequemer. Die Frage, wie der Weg nach oben von Frauen zu meistern ist, die Frage also, die mich bereits bei der Gründung von Generation CEO beschäftigt hat, ist bis heute nicht befriedigend beantwortet und gehört immer noch auf meine und unser aller Agenda. Dass der Talentpool an top-ausgebildeten, engagierten und, ja, auch ehrgeizigen Frauen existiert, beweist Ihr als Teil von Generation CEO in unnachahmlicher Weise. Jetzt muss es für die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik darum gehen, aus diesem Talentpool zu schöpfen und ihn als das zu verstehen, was er ist: eine exzellente Basis für mehr Weiblichkeit. Stellen wir sie doch immer wieder neu, diese Frage der Vernunft, die wir bereits vor sechs Jahren gestellt haben: Wer verzichtet angesichts der Faktenlage, dass Frauen nachweislich ein Gewinn für Unternehmen und damit die Volkswirtschaft sind (und das im wahrsten Sinne des Wortes), allen Ernstes auch künftig auf die (weibliche) Hälfte des Potenzials?

In diesem Sinne, liebe Ladies, wünsche ich Euch und unserem Netzwerk nicht nur ein spannendes Geburtstagsjahr, sondern vor allem dies: eine Zukunft, die eindeutig weiblicher sein wird.

DAS ABENTEUER, GROSS ZU DENKEN – UND ÜBER SICH SELBST HINAUSZUWACHSE

Es waren die Worte von Loppsang an einem stürmischen Nachmittag am Mount Everest, die sich tiefer in meine Seele gebrannt haben als alle anderen. Der Wind schlug ans Zelt, ohne Unterlass, laut und drohend, als würden die Götter die Trommel schlagen. Ein gewaltiger Wintersturm war über den Berg hereingebrochen und hielt uns im Basecamp fest in seinen eisigen Klauen. Es war, als hätte der Berg alles in Bewegung gesetzt, um uns abzuschütteln und nach Hause zu schicken. Schwermut hatte sich in unserem Team ausgebreitet und mit ihr Enttäuschung,Entsetzen und Wut. Ich wollte nur kurz meinen Kopf in die Sherpaküche stecken und Loppsang bitten, meine Wasserflasche mit heißem Tee zu füllen, um mich dann in mein Zelt zurückzuziehen und allein zu sein. Aber Loppsang rief mich zu sich. „Komm, Helga, setz dich zu mir.“ Dabei klopfte er auf den Platz neben sich. Ich schüttelte den Kopf. Er ließ nicht locker und so setzte ich mich schließlich zu ihm auf die Küchenbank. Was er dort zu mir sagte, wird mir niemals mehr aus dem Kopf gehen.
Er sagte: „Weißt du, Helga, du musst dir keine Sorgen machen. Chomolungma (tibetisch für Mount Everest – Muttergöttin der Erde) hat uns den Sturm geschickt, weil sie gemerkt hat, dass wir für den Aufstieg nicht stark genug sind, damit wir Zeit haben, uns auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen. Und wenn sie merkt, dass wir so weit sind, dann wird sie uns die Sonne schicken und dann werden wir mit Leichtigkeit aufbrechen und zum Gipfel aufsteigen.“
Ich habe ihn lange angeschaut, vielleicht weil ich hoffte, er würde mir erklären, wie er auf diese Idee gekommen war, aber das tat er nicht. Er hat dem Berg vertraut. Ich glaube, es hat etwas mit Respekt zu tun, mit Ehrfurcht und mit Glauben. Und der geht uns oft verloren, wenn es schwierig wird, wenn ein Sturm kommt und unsere ambitionierten Pläne zunichtemacht. Dann fangen wir an, mit unserem Schicksal zu hadern, uns über den Berg zu ärgern und uns in Sorge zu winden. Anstatt die Stunden zu nutzen, uns zu stärken, um bereit zu sein, wenn die Sonne kommt. Wie oft in unserem Leben kämpfen wir gegen den Sturm, statt ihm zu vertrauen? Vielleicht sollten wir den Stunden in unserem Leben, in denen wir uns klein und ohnmächtig fühlen, in denen wir ringen, hadern und bangen, mehr Vertrauen schenken als allen anderen, denn es sind die Stunden, in denen das Leben uns am Schopfe packt und auffordert, über uns selbst hinauszuwachsen.

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Zehn Fragen an Helga Hengge

Helga Hengge ist Extrembergsteigerin und Autorin. Als erste deutsche Frau bestieg sie 1999 den Mount Everest. Diese Erfahrung macht sie heute zu einer gefragten Rednerin in den Führungsetagen deutscher Unternehmen. Vor ihrem nächsten Abenteuer nahm sie sich noch Zeit für ein Interview mit GenCEO.

GenCEO: Frau Hengge, Sie haben als erste deutsche Frau die „Seven Summits“ – die höchsten Gipfel der Erde – bestiegen. Der Mount Everest war einer davon. Wie lange haben Sie sich auf diese Expedition vorbereitet?

H. Hengge: Drei Jahre. Ich habe damals in New York gelebt und bin jeden Morgen 12-mal um den Washington Square Park gejoggt, unendliche Stunden auf dem Step-Gerät aufgestiegen, mit Gewichten im Rucksack, und habe jeden freien Abend in der Kletterwand verbracht. Und ich war in den drei Jahren auch auf vielen Expeditionen, 6000er in den Anden und ein kleiner 8000er im Himalaya, um meine Fitness zu testen und Erfahrungen mit der Höhe und der extremen Kälte zu sammeln, bevor ich mich an den höchsten Berg der Welt gewagt habe.

Ein Sturm am Mount Everest scheint mir nicht ungewöhnlich. Lässt sich der Aufstieg nicht einfach einen Tag verschieben?

Am Mount Everest gibt es ein Wetterfenster, das meistens in der zweiten, dritten oder vierten Maiwoche kommt – ein kurzes Zeitfenster von drei bis vier Tagen, in dem sich der Jet-Strom durch den herannahenden Monsun plötzlich in höhere Lüfte und Richtung Norden verschiebt. Dann wird es im Gipfelbereich relativ warm und windstill. Dieses Fenster gilt es zu erwischen. Deswegen reisen die meisten Bergsteiger Anfang April im Basecamp auf 5200 Meter Höhe an, um in den noch stürmischen Aprilwochen die Höhencamps vorzubereiten, um dann Anfang Mai bereit zu sein für den Aufstieg zum Gipfel. Wenn es nicht gelingt, bis Anfang Mai alle vier Höhencamps einzurichten und die Route vorzubereiten, dann wird ein Aufstieg zum Gipfel mit jedem weiteren Tag unwahrscheinlicher. Einen Tag Puffer hat man immer, aber am Everest dauern die Stürme meist mehrere Tage und danach ist der Berg oft ein anderer, die Fixseile sind im Schnee begraben, die Zelte eingedrückt, die Lawinengefahr groß.

Hatte der Sherpa Loppsang recht, als er sagte, Sie seien noch nicht stark genug für den Aufstieg?

Ja, sicher – der Sturm war auch eine Chance für uns alle, zur Ruhe zu kommen, uns im Basecamp zu stärken und noch besser zu akklimatisieren, aber solange nicht alle Höhencamps bereit standen, hatten wir auch Angst, das Wetterfenster zu verpassen. Es ist die große Kunst, am Berg unendlich viel Willenskraft mitzubringen und trotzdem loslassen zu können. Die Sherpas konnten das, sie haben dem Berg vertraut. Für uns war das oft sehr schwer. Loppsang war unser Lead-Sherpa, 32 Jahre alt, er kommt aus dem Khumbu-Tal, südlich des Mount Everest, und hat schon viele Expeditionen im Himalaya begleitet. Er stand schon drei Mal auf dem höchsten Schneefeld der Erde und hat unser Team zum Gipfel geführt.

Inwiefern helfen positives Denken und ein entspannter Geist in solchen Situationen?

Enorm viel, aber das sagen Sie mal einem Bergsteigerteam, das tage- und nächtelang in einem Sturm im Basecamp gefangen sitzt, unter einer millimeterdünnen Plastikplane haust und sich das alles ganz anders vorgestellt hat.

Letztlich sind Sie angetreten, um auf den Gipfel zu gehen. Das haben Sie geschafft. Wie war Ihr Gefühl nach dem Sturm, als die Sonne kam und Sie sich dann auf den Weg nach oben gemacht haben?

Glück, Erleichterung, Dankbarkeit und auch: Jetzt dürfen wir es nicht vermasseln. Es gibt einen wunderbaren Satz aus dem Buch „The Ascent of Rumdoodle“: „She stands there like a goddess … and I for one sent up a fervent prayer that I would not be found wanting in the ordeal that lay before us. In such moments a man feels close to himself.“ Eine Frau auch.

Sind Sie jetzt gelassener, wenn wieder ein Sturm aufzieht?

Am Berg schon. Im richtigen Leben fällt es mir oft viel schwerer, Loppsangs Worte zu beherzigen, aber ich arbeite daran.

Und wenn es mal nicht klappt, Sie auf dem Weg nach oben scheitern? Gehört Scheitern nicht auch irgendwie zum Erfolg dazu?

Ich bin oft gescheitert und nach vielen Wochen am Berg, ohne eine Chance, zum Gipfel aufzusteigen, wieder nach Hause gefahren. Das gehört dazu. Wenn man sich weit hinauswagt, kann man nicht alles perfekt planen. Das ist auch der Unterschied zwischen einer Aufgabe und einer Herausforderung. Eine Herausforderung ist auch immer ein Abenteuer und Scheitern gehört dazu. Das Wichtigste ist, danach wieder aufzustehen, aus den Fehlern zu lernen und mit Enthusiasmus und großem Respekt auf den nächsten Berg zu steigen.

Sind die emotionalen und physischen Erfahrungen, die Sie bei solchen Erfahrungen machen, auch irgendwie im normalen Leben oder im Beruf verwertbar?

Überall, Schritt für Schritt, jeden Tag. Solche Erfahrungen verändern den Menschen in jeder Weise.

Wie ist es um die alpine Gleichberechtigung bestellt? Gibt es noch Bergmachos oder steigen Mann und Frau auf Augenhöhe?

Am Berg ist vor allem der Mensch wichtig, egal ob Mann oder Frau, blond oder grau. Wenn man im Team aufsteigt, geht es nicht darum, dass jeder den größten Rucksack tragen kann (auch wenn es auf den ersten Blick manchmal so scheint), es sind ganz unterschiedliche Stärken, Erfahrungen und Talente wichtig. Wenn alle mit Begeisterung dabei sind und jeder seinen Platz im Team findet, steigen die Chancen für alle, das Ziel zu erreichen.

Was können Sie anderen Frauen von Ihrem Erfahrungsschatz mit auf den Weg geben?

Sich zu trauen, zu kämpfen und über sich selbst hinauszuwachsen. Es lohnt sich, denn das Gipfelglück ist ein besonderer Schatz.